Quantenmechanik-Tutorial:
Der harmonische Oszillator.

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Die harmonische Schwingungsbewegung
ist eine Idealvorstellung der klassischen Physik. Sie ist bei einer punktförmigen Masse zu erwarten, die in einem konservativen System durch eine ideale Feder mit einer unendlich schweren Gegenmasse verbunden ist. Für eine solche ideale Feder gilt das Hookesche Gesetz 
F = k x ,
nach dem die zum Erreichen einer bestimmten Auslenkung aus der Ruhelage benötigte Kraft F proportional zur Auslenkung x ist. Die Auslenkung kann dabei entweder durch Dehnen oder durch Stauchen der Feder zustandekommen. Wird die um die Strecke x ausgelenkte Masse m losgelassen, so schwingt sie zurück in die Ruhelage der Feder und infolge ihrer Trägheit darüber hinaus. Da in einem konservativen System definitionsgemäß keine Reibung auftritt und die Feder in beide Auslenkungsrichtungen gleiches Verhalten zeigen soll, resultiert daraus eine unendliche Schwingungsbewegung.
 
Die zur Auslenkung benötigte Kraft ist, mit entgegengesetztem Vorzeichen, gleich der rücktreibenden Kaft für diese Schwingungsbewegung; diese bestimmt über das Newtonsche Gesetz die Beschleunigung der Masse: 
F = kx = -m d^2 x / d t^2 .
 
Die Schwingungsbewegung wird daher durch die Differentialgleichung 
d^2 x / d t^2 + (k / m ) x = 0
 
beschrieben. Mit dem Ansatz x = A cos omega t erhält man 
-A omega² cos omega t + ( k / m ) A cos omega t = 0
und daraus  omega² = k / m bzw. omega = Wurzel(k/m) .
 
Die Zeitdauer einer vollen Schwingungsbewegung ist der Kehrwert ihrer Frequenz ny; die Auslenkung muss nach Verstreichen dieser Zeitdauer wieder genau den selben Wert aufweisen. 
x(t=0) = x(t=1/ny) = x(t=2/ny) = ...
cos omega0 = cos omega/ny = cos 2omega/ny = ...
 
Dies ist dann der Fall, wenn omega / ny = 2 pi ist. Daraus folgt für die Frequenz 
ny = (1/2pi) Wurzel (k/m) .

 
Die Frequenz der harmonischen Schwingungsbewegung hängt demnach nur von der Federkonstanten k und der Masse m ab, nicht aber von der Auslenkung der Feder.
 
Befinden sich an den beiden Enden der Feder nicht eine Masse und eine unendlich schwere Gegenmasse, sondern zwei endliche Massen m1 und m2, so erhält man ein Ergebnis, das mit der oben für eine Masse m mit einer unendlich schweren Gegenmasse hergeleiteten Beziehung völlig übereinstimmt, wenn in diese statt m die reduzierte Masse µ = m1 m2 / (m1+m2) eingesetzt wird. wobei die Kraftkonstante k eine federspezifische Konstante ist. Dieser Ausdruck spiegelt ebenfalls die idealisierte Situation wider, die den harmonischen Oszillator kennzeichnet: die potenzielle Energie steigt beim Auseinanderziehen und Zusammendrücken gleichermaßen an, die Länge der zugrundeliegenden Feder kann dabei sogar negativ werden.
 
Die Lösung der Schrödingergleichung 
H psi_v = E_v · psi_v
führt beim harmonischen Oszillator zu Energieeigenwerten 
E_v = (v + ½) h ny ,
in der die Schwingungsquantenzahl v die Werte 0, 1, 2, ... annehmen kann. Typisch für den harmonischen Oszillator sind die konstanten Abstände zwischen den einzelnen Energieniveaus.
 
Die Schwingung von Molekülen
kann im Gegensatz zur Rotation durch den Idealfall nicht mehr gut beschrieben werden. Die chemische Bindung kann zwar durchaus als Feder gesehen werden. Und weil die chemische Bindung ein elektronischer Effekt ist, ist ihre Kraftkonstante sowohl unabhängig von der Temperatur als auch unabhängig von den Massen der Atome, die sie verbindet: in den elektronischen Hamiltonoperator (siehe Tutorial Theoretische Chemie) gehen nur die Ladungen ein. Allerdings ist ihre Charakteristik ganz und gar nicht die einer idealen Feder, denn die Energie steigt beim Zusammendrücken der Atome stärker und beim Auseinanderziehen schwächer an als beim harmonischen Oszillator und erreicht bei großen Abständen ( = Dissoziation) einen konstanten Wert. Realistischere Ansätze für die potenzielle Energie werden beim anharmonischen Oszillator getroffen, für den die Schrödingergleichung allerdings nur in Sonderfällen exakt gelöst werden kann.
 
Der harmonische Oszillator ist wegen der für ihn möglichen exakten Lösung der Schrödingergleichung und der daraus bis ins letzte Detail durchgerechneten Beziehungen auch für Moleküle das primäre Modell. Nur wenn Effekte der Anharmonizität ganz entscheidend sind, wird die harmonische Behandlung durch eine anharmonische ergänzt. Die Auswahlregel ergibt für den harmonischen Oszillator Deltav = ±1; Energieübergänge, die mit Absorption oder Emission von Licht einhergehen, sind deshalb nur zwischen benachbarten Energieniveaus erlaubt. Da die Energiedifferenz zwischen allen benachbarten Energieniveaus gleich groß ist, ergibt sich für den harmonischen Oszillator ein charakteristisches Bild mit einer einzigen Bande pro Schwingungsbewegung.
 
Interessant ist, dass die niedrigste erlaubte Schwingungsquantenzahl v=0 nicht der Energie Null, sondern der Energie E = ½ h ny entspricht. Durch diese von Null verschiedene Minimalenergie ist jedes Molekül immer in Bewegung, selbst am absoluten Nullpunkt der Temperatur; die Schwingungsbewegung mit v=0 wird deshalb auch als Nullpunktsschwingung bezeichnet. Sie ist die Ursache der thermodynamischen Größen U_0 und H_0 und sichert auch bei 0 K die Gültigkeit der Heisenbergschen Unschärferelation.
 
Die Schwingung von Molekülen wird im nahen IR angeregt; als Beispiele für die Größenordnung seien die Halogenwasserstoffe angeführt: nyHF = 3962 cm-1, nyHCl = 2886 cm-1, nyHBr = 2559 cm-1, nyHI = 2230 cm-1. Die daraus berechenbaren Kraftkonstanten sind ein Maß für die Stärke der jeweiligen chemischen Bindung: kHF = 880 N/m, kHCl = 478 N/m, kHBr = 382 N/m, kHI = 291 N/m. Schwingungen, an denen schwerere Atome als Wasserstoff beteiligt sind, liegen wegen der größeren reduzierten Masse bei deutlich kleineren Wellenzahlen; die Wellenzahl von DCl beispielsweise beträgt 2069 cm-1 (k = 478 N/m), die von Cl2 beträgt 557 cm-1 (k = 320 N/m).
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Autor:  Dr. Michael Ramek.


 


Offenlegung gem. §25 MedienG: Dr. Michael Ramek, Graz.