Intramolekulare Wasserstoffbrücken in Aminoaldehyden.

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(globales Minimum) 3-Aminopropanal ist eine Verbindung, die weit über den Vergleich mit beta-Alanine und 3-Aminopropanol hinaus interessant ist, nämlich weil es sie als stabile Substanz nicht gibt. Zumindest gibt es keine experimentellen Resultate, abgesehen von einigen Arbeiten über 3-Aminopropanal als Zwischenprodukt in enzymatischen Reaktionen. Dieses praktische Nichtexistieren einer eher kleinen organischen Verbindung ist umso bemerkenswerter, als auf den ersten Blick keine besonderen Probleme für Synthese oder Stabilität erkennbar sind.

Die Ergebnisse der ab initio Berechnungen zeigen ein asymmetrisches globales Minimum, in dem die Aldehydgruppe fast koplanar mit der Ebene der drei Kohlenstoffatome ist. Die Aminogruppe ragt aus dieser Ebene heraus und bringt eines ihrer Wasserstoffatome in die Nähe des Sauerstoffatoms, ohne dabei aber eine Wasserstoffbrücke zu bilden.

(repulsives Minimum) Weitere interessante stationäre Punkte in der Potenzialfläche von 3-Aminopropanal sind ein Konformer, in dem das Wasserstoffatom der Aldehydgruppe zum Stickstoffatom hin orientiert ist, und ein stationärer Punkt mit einer horizontalen Tangentialebene. Das erstgenannte Konformer ist in der Abbildung neben diesem Absatz gezeigt und ist deshalb bemerkenswert, weil die C-H···N-Wechselwirkung elektronisch repulsiv ist (die C-H-Bindung ist deutlich kürzer als in allen anderen Konformeren, und die C-H-Schwingungsfrequenz liegt mehr als 100 cm^-1 über dem Durchschnittswert). Offenbar ist die elektrostatische Wechselwirkung zwischen dem positiv geladenen Wasserstoff und dem negativ geladenen Stickstoff groß genug um die elektronische Abstossung zu überwinden.  

(Terrassenpunkt) Der oben angesprochene stationäre Punkt der Potenzialfläche mit einer horizontalen Tangentialebene ist neben diesem Absatz gezeigt. Seine Energie ist ein Minimum bezüglich aller Freiheitsgrade außer der Torsion der Aldehydgruppe; für diese steigt die Energie in einer Richtung an, während sie in der anderen abnimmt. Die nach der (für ein derartiges Potenzial kaum geeigneten) harmonischen Näherung berechnete Schwingungsfrequenz beträgt 7,5 cm^-1, was die stationäre Natur dieser Anordnung bestätigt. (Paul Mezey hat für einen derartigen Punkt einen guten Vergleich gegeben: er ist in einer bestimmten Art von Wasserrutsche in manchen Freibädern verwirklicht.) Solche Punkte können als Konformer angesehen werden, das für einen Reaktionsweg keine Aktivierungsenergie benötigt.

Im Falle von 3-Aminopropanal ist diese Interpretation ein Omen für die gesamte Potenzialfläche, denn es gibt kein einziges Konformer mit nennenswerter kinetischer Stabilität. Für jedes Konformer gibt es mindestens einen Pfad mit sehr geringer Potenzialbarriere; das kinetisch stabilste Konformer ist das globale Minimum mit einer kleinsten Barriere von etwa 1 kcal/mol, was der thermischen Energie bei Raumtemperatur entspricht. Das scheint auch die Erklärung zu sein, warum 3-Aminopropanal so instabil ist:

  1. 3-Aminopropanal hat zwei funktionelle Gruppen, die mit vielen verschiedenen Substraten reagieren können;
  2. für jede Reaktion gibt es Konformere mit günstiger oder ungünstiger Geometrie hinsichtlich der Annäherung an das jeweilige Substrat;
  3. im Gegensatz zu anderen Verbindungen kann jedes Konformere von 3-Aminopropanal sich wegen der kleinen Potenzialbarrieren leicht in jedes andere umwandeln;
  4. folglich ist für jede denkbare Reaktion praktisch jederzeit ein geeignetes 3-Aminopropanal-Konformer verfügbar.


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